In den seit Sommer 2011 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängigen kommunalen Verfassungsbeschwerden von 15 Landkreisen und einer Stadt geht es um die Stellung der sog. Optionskommunen. Dies sind die kommunalen Jobcenter, die das SGB II („Hartz IV") in alleiniger Verantwortung ausführen, also ohne die Bundesagentur für Arbeit. Angegriffen sind die Beschränkung des Optionskontingents auf 25 % aller Landkreise und kreisfreien Städte, die vorgegebene Zwei-Drittel-Mehrheit für den Beschluss des Kreistages und Stadtrates für den Antrag auf Zulassung als Optionskommune und die Prüfbefugnisse des Bundes bei den Optionskommunen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.1.2014 eine mündliche Verhandlung zu den Verfassungsbeschwerden durchgeführt.
Hervorzuheben ist, dass das Bundesverfassungsgericht üblicherweise im schriftlichen Verfahren entscheidet. Eine mündliche Verhandlung wird nur sehr selten anberaumt, zuletzt acht Mal im Jahr in jedem der beiden Senate bei über 6.000 Verfahrenseingängen im Jahr. Insoweit macht die mündliche Verhandlung die Bedeutung der von den Kommunen vorgetragenen Fragestellungen deutlich.
In der fünfstündigen Verhandlung wurden alle drei angegriffenen Fragestellungen ausführlich erörtert, und zwar sowohl im Rechtsgespräch als auch zur Sachverhaltsklärung.
Auf Bitten des Gerichts beschrieben zunächst in anschaulichen Eingangsstatements für die Gesamtheit der Beschwerdeführer sowie der betroffenen kommunalen Träger Landrat Joachim Walter, Landkreis Tübingen, und Stadtkämmerer Frank Stein, Stadt Leverkusen, die Motive, optieren zu wollen, die Verfahren für die Antragstellung einschl. der unsachgerechten Hürde der Zwei-Drittel-Mehrheit und die Nicht-Nachvollziehbarkeit der Reihung der Antragsteller durch die Länder.
Bei der Zwei-Drittel-Mehrheit für den Kreistags- bzw. Stadtratsbeschluss erörterte das Gericht, ob der Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltung eröffnet ist. Dabei wurde auch hinterfragt, warum das SGB II für den Antrag auf Zulassung als Optionskommune eine Zwei-Drittel-Mehrheit fordert, für die Rückgabe der Option jedoch eine einfache Mehrheit ausreichen lässt.
Hinsichtlich des Optionskontingents betonten die Prozessbevollmächtigten, Prof. Dr. Wolfgang Ewer und Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, dass es nicht darum geht, das Kontingent der im Jahr 2012 41 neu zugelassenen Optionskommunen neu zu verteilen. Diese sind ebenso wie die seit dem Jahr 2005 tätigen 67 alten Optionskommunen auf Dauer zugelassen und sollen es auch bleiben. Es geht vielmehr darum, das Kontingent für diejenigen Antragsteller zu öffnen, die von den Ländern als optionsgeeignet befunden wurden, aber aufgrund des beschränkten Kontingents nicht als Optionskommune zugelassen wurden.
Zu den Prüfungen des Bundes bei den Optionskommunen stellten auf Bitten des Gerichts sowohl der als Sachverständiger geladene Deutsche Landkreistag als auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Prüfgegenstände sowie die Form und Häufigkeit der Prüfungen dar und erläuterten die Inhalte und Wirkungen der Prüfungen an-hand von Beispielen. Während der Deutsche Landkreistag deutlich machte, dass die Prüftätigkeit nicht zuletzt wegen der Problematik nachträglicher Erstattungsansprüche die kommunale Aufgabenwahrnehmung beeinträchtigt und im Widerspruch zur Rechtsaufsicht durch die Länder steht, bekräftigte das Bundesministerium die Notwendigkeit der Finanzkontrolle durch den Bund. Im Rechtsgespräch ging es sodann darum, ob der neue Art. 91e GG ausnahmsweise eine unmittelbare Prüfung des Bundes bei den Kommunen erlaubt oder ob die Prüfung dem zweistufigen Staatsaufbau folgend über die Länder laufen muss.
Insgesamt kam es zu sehr lebhaften Erörterungen. Dass nicht nur der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und der Berichterstatter wiederholt Nachfragen stellten, sondern nahezu alle Richter des Senats, und zwar zu allen drei Fragestellungen und zu ganz unterschiedlichen Facetten, zeigt die Komplexität der Materie und das besondere Interesse des Gerichts an den aufgeworfenen Fragestellungen.
Im Ergebnis sahen sich die beschwerdeführenden Kommunen durch die angegriffenen Vorschriften in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzt. Das Bundesministerium verneinte dies und betonte, dass es sich um unabdingbare „Essentials" des politischen Kompromisses handele.
Einen Termin für die Verkündung der Entscheidung hat das Gericht noch nicht mitgeteilt. Dies wird nach Abschluss seiner Beratungen erfolgen. Erfahrungsgemäß wird damit im Frühsommer 2014 zu rechnen sein.