Für den Deutschen Landkreistag besteht der Berliner Koalitionsvertrag aus Licht und Schatten. Präsident Landrat Dr. Achim Brötel sagte dem Tagesspiegel in einer ersten Bewertung: „Für uns ist klar, dass jede Bundesregierung eine faire Chance verdient hat. Das gilt selbstverständlich auch für die neue Koalition. Und: Wir sehen in dem, was da zu Papier gebracht worden ist, durchaus positive Ansätze. Das gilt vor allem für die Migrationspolitik oder das Bürgergeld. Insgesamt enthält der Vertrag aber aus unserer Sicht viel zu wenig Belastbares. Viele der zentralen Fragen werden nicht angepackt oder auf eine ungewisse Zukunft vertagt. Wer eine echte Wende will, darf aber nicht nur auf ungedeckte Wechsel für die Zukunft setzen. Dieses Denken scheint in der neuen Koalition aber nicht unbedingt weit verbreitet zu sein. Das, was wir im Vertrag lesen, ist jedenfalls deutlich zu wenig. Spätestens nach den mahnenden Worten des Bundespräsidenten hätten wir schon erwartet, dass die Politik begreift, in welch dramatischer Situation die kommunalen Finanzen bundesweit sind. So bleibt uns nur die vage Hoffnung auf den geplanten Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen. Wenn es die Bundesregierung wirklich ernst meint, müssen die Verhandlungen darüber umgehend beginnen. Wir brauchen niemand, der Probleme zum x-ten Mal beschreibt. Wir brauchen Lösungen.“
Eine Reihe von Vorschlägen gehe, so Brötel, zwar durchaus in die richtige Richtung. Das zentrale Problem der offenkundig dramatischen Unterfinanzierung der Landkreise, Städte und Gemeinden werde aber nicht gelöst. Gemessen an diesem Maßstab sei das, was die Koalition vorgelegt habe, ersichtlich unzureichend: „Aufbruch und Wende sehen anders aus“.
Der Deutsche Landkreistag fordert deshalb weiterhin spürbare Verbesserungen für die kommunale Ebene und eine ehrliche Reform des Sozialstaats. „Jeder weiß: Ein ‚weiter so‘ kann es nicht mehr geben. Aber: offenbar hat der neuen Koalition in den Verhandlungen der Mut oder die Kraft gefehlt, das auch so deutlich zu artikulieren und in ganz konkrete Reformschritte zu übersetzen“.
Entgegen anderslautender Ankündigungen sei der Koalitionsvertrag zudem am Ende dann doch ein sehr umfangreiches Vertragswerk geworden. Genau da liege aber auch das Problem, so Brötel weiter. Es würden unzählige kleinteilige Einzelvorhaben angekündigt. Eine klare Linie, die auch Prioritäten setzt, suche man allerdings vergebens: „Wer es anders machen will als die Ampel, darf es nicht bei der bloßen Ankündigung allein bewendet sein lassen, sondern muss auch liefern. Das vermissen wir schmerzlich. Es deutet momentan jedenfalls mehr auf eine Lieferkette in die Vergangenheit als auf einen echten Neuanfang hin“.
Kernforderung der Landkreise sei eine Verdreifachung des prozentualen kommunalen Umsatzsteueranteils. Nur so könnten Landkreisen, Städten und Gemeinden endlich wieder ihrem verfassungsrechtlich geschützten Gestaltungsauftrag nachkommen. „Die Zahlen zeigen stattdessen aber ein bundesweites Rekorddefizit von 24,3 Mrd. €. Allein im Vergleich zu 2023 hat sich das kommunale Defizit glatt vervierfacht. Die Hütte brennt lichterloh. Wenn die Politik da nicht schnell handelt, werden Strukturen wegbrechen, die dann aber unwiederbringlich verloren sind. Vertagen ist da einfach keine Antwort. Wer so denkt und handelt, spielt nur mit dem Feuer.“
Positiv sei ohne Frage zu bewerten, dass die Kommunen und ihre Spitzenverbände an vielen Stellen des Koalitionsvertrags ausdrücklich genannt werden. Das gelte etwa im Zusammenhang mit angemessenen Beteiligungsfristen bei der Gesetzgebung, der Mitwirkung an verschiedenen Kommissionen, insbesondere der Kommission zur Sozialstaatsreform und zur Strukturreform in der Pflege, sowie beim Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen. „Gut, dass wir irgendwann darüber reden, löst aber noch kein einziges Problem. Wer abzusaufen droht, braucht stattdessen einen Rettungsring – und das sofort“.
Im Hinblick auf den Abbau von Förderbürokratie, die Pauschalierung von Fördermitteln oder die Steuerung und Begrenzung der Migration enthalte der Koalitionsvertrag hingegen durchaus begrüßenswerte Vereinbarungen: „Wir erkennen durchaus an, dass wir uns vor allem mit Blick auf die Migration mit unseren Forderungen schon ernst genommen fühlen. Dieser Teil des Koalitionsvertrags vermittelt den Eindruck, dass die Migrationspolitik des Bundes konsequenter werden soll. Dass Zurückweisungen bereits an den Grenzen erfolgen und eine Rückführungsoffensive gestartet werden soll, begrüßen wir ausdrücklich. Ebenso sollen ukrainische Geflüchtete, die künftig einreisen, keine Bürgergeldleistungen mehr erhalten, sondern nur noch die für Asylbewerber. Auch das entspricht einer klaren Forderung des Deutschen Landkreistages.“
Der überfällige Abbau von Aufgaben und Standards mit einer echten und ehrlichen Kostenkritik finde sich hingegen nur bei dem in Aussicht gestellten Zukunftspakt. „Das ist uns in den Inhalten deutlich zu vage. Nebelkerzen reichen nicht. Unser Problem ist doch, dass schon viel zu lange über alles Mögliche geredet worden ist, aber niemand mehr die Kraft hat zu handeln. Das muss sich jetzt dringend ändern – und zwar nicht irgendwann, sondern sofort“.