Papier in einer Verwaltung ist nichts Ungewöhnliches, in Lippe wird es aber gerade auch verbaut. Bei der Sanierung des Kreishauses spielen Baustoffe wie Zellulose eine bedeutende Rolle. Das Konzept der Großbaustelle bietet eine optimale Verbindung aus ökologischen, nachhaltigen und funktionalen Komponenten, die es in der Region so noch nicht gibt. Dabei zeigt der Kreis Lippe, dass innovative Bauvorhaben einen Mehrwert auf verschiedenen Ebenen haben. Mit der lippischen Klimafassade wird der Energieverbrauch der Verwaltung um über die Hälfte reduziert. Zugleich präsentiert sich das sanierte Kreishaus klimapositiv. Um diese Effekte zu erreichen, hat sich die Kreisverwaltung aber nicht den einfachsten Weg gewählt, sondern einen zukunftsweisenden. Mittelfristig muss es das Ziel sein, dass bei Bauplanungen von Anfang bis Ende die Folgen für die Umwelt berücksichtigt werden - vom originären Rohstoffverbrauch und -einsatz bis hin zu dem, was mit dem Gebäude nach der Nutzung passiert.
Die Sanierung des Kreishauses Lippe ist Teil der Umsetzungsstrategie „Lippe_Re-Klimatisiert“, die beim Wettbewerb „KommunalerKlimaschutz.NRW“ einen Zuschlag erhielt. Gefördert wird das Projekt mit rund 16 Mio. € durch das Land NRW mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Europäischen Union.
Gezielte Ausschreibungen
Wie bei anderen Anschaffungen auch, sind Kommunen angehalten, Baumaßnahmen auszuschreiben. Seit einigen Jahren hat sich aber die Maxime, dass das kostengünstigste Angebot den Zuschlag erhält, relativiert. Das billigste Angebot ist nicht immer das „günstigste“ Angebot. Der Kreis Lippe hat bei der Kreishaussanierung daher bei den Ausschreibungen explizit Wert darauf gelegt, dass eine nachhaltige Umsetzung im Fokus steht. Diese beinhaltet sowohl die Auswahl der Baustoffe als auch die Effekte der Sanierung sowie die Langlebigkeit des sanierten Baus.
Die notwendige Sanierung des Kreishauses
Nach 40 Jahren in Betrieb zeigten sich die Alterserscheinungen der Fassade deutlich. Undichte Fenster und eine veraltete Dämmung hatten hohe Heizkosten zur Folge. Ebenso litt das Raumklima in den Büros. Eine Sanierung war unvermeidlich. Die Verwaltung und die Politik standen vor der Frage: Alles neu oder den Bestand aufarbeiten? Eine Instandsetzung der Fassade schied hinsichtlich minimaler Verbesserungen frühzeitig aus. Somit führte kein Weg an einer kompletten Sanierung vorbei. Die große Herausforderung dabei lag in der Kombination der Ansprüche. Rund zehn Hauptkriterien galt es, miteinander zu vereinen.
Anforderungen an die Firmen
Die zuständigen Firmen für den Abbruch sowie den Fenster- und Fassadentausch mussten vertraglich zusichern, dass sie die entfernten Gebäudebestandteile geordnet entsorgen und in Kreisläufe zurückführen. Damit z. B. die alten Alufenster wie vorgegeben recycelt werden, müssen die Firmen Wiegekarten und Zertifikate vorlegen.
Möglichst viele Bestandteile der neuen Fassade sollten aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. So sind die Dämmelemente, die Dämmung und die Fenster aus Holz oder Zellulose. Aufgrund der Witterung erhielten die Fenster auf der Außenseite eine Aludeckschale. Die Fassadenbekleidung besteht ebenfalls aus langlebigem und selbstreinigendem Aluminium. Bei der Vergabe des Gewerks haben die Planer darauf geachtet, dass nicht nur der Preis für den Zuschlag ausschlaggebend war, sondern auch der Recyclinganteil. Die beauftragte Firma hat so bestätigt, dass mindestens 60 % des Stoffes recycelt sind. Darüber hinaus ließ sich durch einen speziellen Herstellungsprozess die Materialstärke der Teile um ein Drittel reduzieren. Dadurch kommt der Kreis auch den Anspruch nach, nicht nur mit nachhaltigen beziehungsweise recyclefähigen Baustoffen zu arbeiten sondern auch ressourcenschonend zu agieren.
Die Effekte
Die Sanierung erzielte bereits im zurückliegenden Winter deutliche Effekte. An einem kalten Novembertag 2021 mit knapp 4 °C Außentemperatur zeigte das Thermometer einen eindeutigen Unterschied: Die Temperaturdifferenz zwischen einem ungedämmten Büro und einem neu gedämmten Büro lag bei rund 5 °C – beide Räume waren unbeheizt. Das Ergebnis spiegelt sich in den Einsparungen wider. Die Sanierung des Kreishauses samt den Sanitäranlagen senkt den Endenergiebedarf um 55 %, das entspricht rund 1,5 Mio. kWh/a. Die nicht mehr benötigte Fernwärme steht zudem in Absprache mit den Stadtwerken Detmold künftig Verbrauchern im Quartier zur Verfügung. Finanziell spart der Kreis bei den Heizkosten etwa 122.000 € pro Jahr ein. Mit den steigenden Energiepreisen wird der finanzielle Effekt künftig noch größer sein. Die CO2-Emmission liegt nach Fertigstellung aufgrund der ökologischen Gutschriften mit -7,3 kg/(m²·a) im negativen Bereich.
„RE-BUILD OWL“: Richtungsweisende Maßnahmen für den Bausektor
Mit der Sanierung des Kreishauses will der Kreis zeigen, dass auch an Bestandsgebäuden mit gezielten Maßnahmen CO2-Einsparungen möglich sind. Der Gebäudesektor produziert laut dem Umweltbundesamt immerhin 38 % der globalen CO2-Emissionen. Bei diesen Zahlen steht derzeit lediglich die Betrachtung des Betriebes eines Bauwerkes im Fokus. Es fehlt gänzlich die Berücksichtigung der Treibhausemissionen durch die Gewinnung von Primärrohstoffen für die Produktion notwendiger Baumaterialien bei Neubau und Sanierung. Ebenso unberücksichtigt bleiben die Kosten der Stoff- und Materialströme beim Rückbau. Trotz massiv schwindender Ressourcen gelangt heute nur ein kleiner Teil der im Bau eingesetzten Rohstoffe wieder in den Produktionsprozess. Über 230 t Material landen jährlich auf Schutthalden und Deponien. So gehen nicht nur kostbare Sekundärressourcen verloren, sondern es setzt zunehmend ein Platzproblem ein. Das sind große Herausforderungen für die Baubranche - aktuell und in Zukunft. Theoretisch müsste man also die verbauten Materialien konsequent wiederverwenden und so Abfallmengen und den CO2-Ausstoß minimieren.
Dieser Aufgabe widmet sich der Kreis Lippe gemeinsam mit seinen interdisziplinären Projektpartnern im Modellvorhaben „RE-BUILD-OWL“. Ziel ist es, eine Transformation zum zirkulären Bauen in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) aktiv zu gestalten. Das zweijährige Projekt startete im Oktober 2021.
Paradigmenwechsel in Lippe
Bereits 2014 beauftragte der Kreis Lippe eine Studie, die untersucht hat, inwieweit die lippische Gebietskulisse für zirkuläre Wertschöpfungsprozesse geeignet ist. Das Ergebnis zeigt, dass gute Voraussetzungen für einen solchen Transformationsprozess in Lippe vorliegen. 2018/2019 formiert sich ein breites Bündnis von mittlerweile mehr als 40 Akteuren und Institutionen aus Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung sowie kommunaler Politik und Verwaltung. Dieses in Deutschland einzigartige Konsortium stößt neue und interdisziplinäre Projekte und Kooperationen rund um eine Circular Economy (CE) an. Mit der Geschäftsstelle Lippe zirkulär als Impulsgeber, Initiator und Koordinationsstelle baut der Kreis sein Engagement im Bereich zirkulärer Prozesse systematisch aus. Das Modellvorhaben „RE-BUILD-OWL“ widmet sich dabei ganz konkret dem zirkulären Bauen im kommunalen Kontext. Es gestaltet die Bauwende in OWL aktiv mit und nutzt die Chancen der Transformation der kommunalen Bau- und Sanierungstätigkeiten für die Region gemeinsam mit seinen assoziierten Partnern CirQuality OWL, Energie Impuls e.V., Madaster GmbH, DIN e.V. Berlin, der Handwerkskammer zu OWL und dem Innovation Campus Lemgo. Der Kreis Lippe mit der Geschäftsstelle Lippe zirkulär und dem technischen Gebäudemanagement (TGM) sowie dem Wissenschaftsladen Bonn e.V. (WILA) und dem Institut für angewandtes Stoffstrommanagement (IfaS) der Hochschule Trier
Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium des Innern und Heimat im Rahmen von „Region gestalten – Heimat 2.0", einer Initiative vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
Vom Konzept zur Praxis – wenn Ungewohntes selbstverständlich wird
Eins ist klar: Gebäude müssen zukünftig adaptiver und wiederverwendbar sein. Zum zirkulären Bauen gehört die Ressourcenwende dazu. Der Wiedereinsatz von Materialien spielt neben der Frage, wie diese produziert und innovativ eingesetzt werden, eine zentrale Rolle. Das Bestandsgebäude wird zur Ressource. Der deutsche Gebäudebestand umfasst nahezu 52 Mrd. t verbautes Material. Das sind gigantische Materialbanken, die nicht länger als Abfall gesehen werden dürfen. Kommunen können durch einen konsequent neuen Umgang mit ihren Liegenschaften und Gebäuden zukunftsfähige Wertschöpfungspotenziale steigern. Das erfordert die Schaffung und Akzeptanz neuer Entscheidungsroutinen und Planungsprozesse. So legten die Planer bei der Kreishaussanierung Wert darauf, dass homogene Baustoffe zum Einsatz kommen, die sortenrein trenn- und nahezu restlos wiederverwertbar sind.
Im Rahmen des Modellvorhabens werden neue Datengrundlagen durch das Institut für angewandtes Stoffstrommanagement Trier (IfaS) geschaffen. Neben der Analyse der Stoffströme im Kreis Lippe bildet die Untersuchung dreier kommunaler Modellgebäude hinsichtlich ihrer zirkulären Eignung einen weiteren Schwerpunkt. So entstehen Kenntnisse, die auf andere (Bestands-)Gebäude übertragen werden können.
Zudem entwickelt „RE-BUILD-OWL“ partizipativ die praxisnahe Roadmap „Zirkuläres Bauen OWL“. Hier finden intensive Fach- und Strategiedialoge sowie die Arbeit in Gruppen statt, die der WILA Bonn e.V. strukturiert und koordiniert. Daneben entsteht eine zielgruppengerechte und anwenderfreundliche Transfer- und Innovationsplattform. Alle Ergebnisse, Strategien und Potenziale werden in einem Zukunftsatlas zusammengeführt und allen Interessierten kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Lisa Grünreich, Projektkommunikation „Lippe_Re-Klimatisiert“, und Lisa Pusch, Projektleitung des Modellvorhabens „RE-BUILD-OWL“, Kreis Lippe