Zusammenfassung

Die Landkreise schlossen 2022 nach dem Defizit des Vorjahres überraschend mit einem Überschuss ab. Es fiel mit 593 Mio. € um 1,1 Mrd. € besser als erwartet (-0,5 Mio. €) aus. Gegenüber dem Vorjahr verbesserte sich die Finanzlage der Landkreise um deutliche 1,096 Mrd. €. Insgesamt 113 der 294 deutschen Landkreise – d.h. 38,4 % –konnten den rechnerischen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben nicht erreichen, wiesen unabgedeckte Altlasten auf oder mussten auf die (Ausgleichs-)Rücklage zum Erreichen des Haushaltsausgleichs zurückgreifen.

Im Jahr 2023 wird sich dieses Ergebnis trotz eines Aufwuchses der Einnahmen um 7 % nicht wiederholen lassen. Vielmehr ist nach der Prognose des Deutschen Landkreistages angesichts eines um 8,5 % deutlich stärker anwachsenden Ausgabevolumens im Ergebnis für die Landkreise ein Defizit von -0,8 Mrd. € und damit eine Ergebnisverschlechterung um -1,4 Mrd. € zu erwarten (Tabelle pdf). 219 Landkreise (= 74,5 % aller 294 Landkreise) sind defizitär und werden den Haushaltsausgleich nicht schaffen (30 Landkreise = 10,2 %), ungedeckte Altfehlbeträge aufweisen (14 Landkreise = 4,8 %) oder den Haushaltsausgleich nur unter Inanspruchnahme der Ausgleichsrücklage oder der allgemeinen Rücklage (175 Landkreise = 59,5 %) bewältigen (Karte pdf).

Im Einzelnen

Auf der Einnahmeseite bilden die Zuweisungen der Länder und die von den kreisangehörigen Gemeinden erhobene Kreisumlage die Haupteinnahmequellen der Landkreise (Abbildung pdf). Im Zentrum der Zuweisungen stehen neben den Bundesbeteiligungen an den Kosten der Unterkunft und an der Grundsicherung im Alter vor allem die kommunalen Finanzausgleiche der Länder (Abbildungen zu den KFAs der einzelnen Länder gesammelt pdf). Die Zuweisungen an die Landkreise nahmen 2022 insgesamt bundesweit um 8,6 % zu. Dabei nahmen die laufenden Zuweisungen mit 8,4% deutlich dynamischer als erwartet zu. Die investiven Zuweisungen wuchsen wie erwartet deutlicher mit +12,5 % auf.

2023 nimmt das Volumen der kommunalen Finanzausgleiche ebenfalls zu. (Volumen der KFA pdf). Insgesamt ist zu erwarten, dass die Zuweisungen an die Landkreise weiterhin dynamisch insgesamt um 7,1 % zunehmen. Dabei wachsen die laufenden Zuweisungen unter Berücksichtigung der fluchtbezogenen Hilfen um 6,8 % auf, während die investiven Zuweisungen um 12,2 % und damit noch mit einer weiter höheren Dynamik ansteigen.

Die Sonderreglung für die flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft und Heizung ist 2022 ausgelaufen. Die Gesamt-Bundesbeteiligung an den KdU liegt nun im Bundesdurchschnitt bei 70,3 v.H. Auch die anderen Bestandteile des sog. Vier-Säulen-Modells - 100 %ige Übernahme der flüchtlingsbedingten KdU sowie die über die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern abgewickelte Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Asylbewerber, für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sowie für die Integration – werden nicht mehr angewandt und sind 2023 durch eine allgemeine Flüchtlingspauschale i.H.v. 1,25 Mrd. € zzgl. eines einmaligen Aufschlags i.H.v. 1 Mrd. € in 2023 und der Hilfen für die Ukraine-Flüchtlinge (3,5 Mrd. € in 2022 und 1,5 Mrd. € in 2023) ersetzt worden. Tatsächlich liegen die Flüchtlingszahlen um fast ein Viertel über dem Höchstwert aus 2016 und sind – Stand April 2023 –doppelt so viel wie der vormalige Höchststand aus dem Jahr 2015 (Abbildung pdf). Da allein über den Mechanismus des § 46 SGB II eine kommunalindividuell belastungsgerechte Refinanzierung der flüchtlingsbedingten Unterkunftskosten erfolgen kann, ist die Komponente „100 %iger Übernahme der flüchtlingsbedingten KdU“ unverzichtbar. Der Deutsche Landkreistag fordert dringend eine Rückkehr zum Vier-Säulen-Modell.

Das Wachstum der Kreisumlagegrundlagen hatte 2022 in der Dynamik deutlich zugenommen. Während 2021 die Kreisumlagegrundlagen im bundesdeutschen Durchschnitt nur noch um 2,4 % aufwuchsen, nahmen sie im vergangenen Jahr deutlich stärker um 5,5 % zu. 2023 nehmen sie infolge der wieder deutlich ansteigenden gemeindlichen Steuereinnahmen sichtbar stärker um 7,2 % zu. 2022 wurde in 208 Landkreisen – dies entspricht 70,7 % aller Landkreise – die Kreisumlagehebesätze beibehalten oder sogar gesenkt. Im aktuellen Jahr 2023 wird in insgesamt 48 Landkreisen (= 16,3 %) der Hebesatz trotz der angespannten Situation gesenkt. In weiteren 88 (= 29,9 %) bleibt er auf dem Vorjahresniveau. In 158 Landkreisen bzw. 53,7 % der Landkreise muss demgegenüber aufgrund der hohen Ausgabeanforderungen der Kreisumlagesatz erhöht werden. Als Ergebnis des Zusammenspiels von Kreisumlagegrundlagen und Kreisumlagehebesatzgestaltung hat im Jahr 2022 das Aufkommen aus der Kreisumlage in den Landkreisen bundesweit wie erwartet nur schwach um 5,2 % zugenommen. Das Kreisumlageaufkommen 2023 wird voraussichtlich um deutliche 8,5 % steigen (Übersicht nach Ländern 2022 pdf).

Ausgabeseitig wird die Situation der Kreisfinanzen vor allem von den Ausgaben der Landkreise für soziale Leistungen dominiert, da die Landkreise in der Regel angesprochen sind, wenn die Kommunen bei der Umsetzung von Sozialgesetzen gefordert sind. Die Landkreise tragen von den gesamten kommunalen Ausgaben für soziale Leistungen von 46,3 %. Über die Hälfte der kommunalen Ausgaben für Grundsicherung für Arbeitsuchende und der in den vergangenen Jahren rasant gestiegenen Ausgaben für Asylbewerberleistungen sowie zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung werden von den Landkreisen getragen. Auch im Bereich der Jugendhilfe, der Hilfe zur Pflege und der milliardenschweren Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sind die Landkreise kommunaler Hauptlastträger (Abbildung pdf). Über die Umlagen an die Höheren Kommunalverbände (Abbildung pdf), die zusammen etwa knapp die Hälfte der Ausgaben für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und rund 30 % der Ausgaben zur Hilfe zur Pflege stemmen, kommen weitere, indirekte Lasten aus dem Sozialbereich hinzu. Insbesondere fluchtbedingt wiesen die Ausgaben der Landkreise für soziale Leistungen 2022 eine besonders deutliche Dynamik auf (+6,5 %). Für 2023 wird mit einem Zuwachs von 11,8 % gerechnet.

Bei den Ausgaben zum laufenden Sachaufwand ist derzeit besonderes Augenmerk auf die allgemeine und insbesondere die Energie-Preisentwicklung zu legen, die bereits 2022 deutliche Spuren in der Entwicklung der Ausgaben für den laufenden Sachaufwand hinterlassen haben (+5,7 %). Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Kreishaushalte gerade der Energiepreisentwicklung werden indes erst 2023 richtig zum Tragen kommen, da vielfach die Verträge vor einer ungeschmälerten Weitergabe der gestiegenen Beschaffungspreise schützten. Für 2023 lassen die Haushaltsplanungen der Landkreise erwarten, dass die Ausgaben für den laufenden Sachaufwand in den Landkreisen insbesondere preis- und abrechnungsgetrieben um 7,9 % zunehmen werden

Im Personalbereich bedeutet der Tarifabschluss vom 22.4.2023 eine große finanzielle Herausforderung. Bereits 2022 nahmen die Personalausgaben hoch um 5,9 % zu. Für 2023 ist unter Einschluss des Tarifergebnisses und der Besoldungsanpassungen sowie der aus den Haushaltsplanungen der Landkreise erkennbaren personalwirtschaftlichen Maßnahmen und mit einem sehr deutlichen Aufwuchs der Ausgabebelastungen um 8,6 % zu rechnen.

Im Bereich der Investitionen ist die kommunale Ebene weiterhin die einzige Ebene, die seit 2003 durchgängig negative Nettoinvestitionen, d.h. einen Vermögensverzehr zu verzeichnen hat (Abbildung pdf). Mit Stand 2022 ist für die Kreishaushalte ein Investitionsstau pdf von rund 32,4 Mrd. € festzustellen, von dem der größte Anteil auf den Bereich der Schulen entfällt, gefolgt von der Straßen- und Verkehrsinfrastruktur, öffentlichen Verwaltungsgebäuden sowie dem Breitbandausbau. V.a. die Investitionen in die Kreisstraßen, denen bei einem Anteil von 40 % an den Straßen mit überörtlicher Erschließungsfunktion eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt, mussten in den vergangenen Jahren aufgrund der Finanznot und sinkender Zuschüsse zurückgefahren werden. 2022 nahmen die Sachinvestitionen der Landkreise trotz der diversen Förderprogramme nur um 4,9 % zu. Für 2023 ist trotz der eingebtrübten Finanzlage noch mit einer um 4,3 % zunehmenden Sachinvestitionstätigkeit der Landkreise zu rechnen.

Fazit

Gerade in der aktuellen Situation bestätigt sich erneut die fehlende Widerstandsfähigkeit („Krisenresilienz“) der kommunalen Haushalte. Bei einem Anteil an den öffentlichen Steuereinnahmen von – je nach wirtschaftlicher Situation - 12-15 % und einem Ausgabeanteil von mehr als 25 % liegt es auf der Hand, dass die Kommunen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben schon in „Normalzeiten“ auf eine signifikante Aufstockung ihrer Einnahmen angewiesen sind. Daher werden zusätzliche einnahme- und ausgabeseitige Herausforderungen, wie sie gerade wieder in der aktuellen Situation zeigen, schnell zu einem generellen fiskalischen Problem. Deshalb lautet die Schlussfolgerung nach wie vor: Eine Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der kommunalen Haushalte erfordert eine Aufstockung der originären kommunalen Steuereinnahmen. Dies liegt bei einem Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen, der nahezu halb so groß wie der Anteil an den gesamtstaatlichen Ausgaben ist, geradezu auf der Hand. Angesichts der Soziallastigkeit der kommunalen Ausgaben kann das nicht über die klassischen kommunalen Steuern erfolgen. Stattdessen sollte man sich oberhalb des Ersatzes der Gewerbekapitalsteuer von dem nur aus der Vergangenheit erklärbaren Verteilungsmaßstab des kommunalen Umsatzsteueranteils lösen, diesen spürbar aufstocken und nach Einwohnern verteilen. Adressat müssen die kommunalen Soziallastenträger, d.h. die Landkreise und kreisfreien Städte, sein. Benötigt wird neben einem größeren kommunalen Anteil an den Gemeinschaftssteuern, der die kommunale Einnahmebasis krisenfester macht, v.a. auch ein Umdenken auf der Aufgabenseite – mit Aufgabenkritik und Standardabbau, denn nicht nur fiskalisch, sondern auch personell geraten die Kommunen immer mehr an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die latente Finanzierungslücke und zunehmende Abhängigkeit der kommunalen Haushalte von Förderprogrammen machen eine adäquate Personalplanung nicht gerade einfach und niemand stellt Personal aufgrund von Förderprogrammen ein. Hinzu kommt der immer sichtbarer werdende Arbeitskräftemangel, der eine aufgabe-angemessene Besetzung der Stellen immer schwieriger macht. Trotzdem haben sich in den vergangenen Jahren die Aufgabenanforderungen immer weiter verschärft und es sind immer wieder neue Aufgaben hinzugekommen. Hier muss dringend umgesteuert werden.

Die Abbildungs- bzw. Tabellennummern orientieren sich an der Darstellung im Kreisfinanzbericht 2022/2023 (erschienen als Oktober-Ausgabe 2023 von „Der Landkreis“).

 

 

Der kommunale Spitzenverband der 294 Landkreise

Der Deutsche Landkreistag (DLT) vertritt drei Viertel der kommunalen Aufgabenträger, rund 96 % der Fläche und mit 57 Mio. Einwohnern 68 % der Bevölkerung Deutschlands.

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