Im Jahr 2024 droht den Landkreisen ein noch nie dagewesenes Rekorddefizit von -2,6 Mrd. € (Tabelle). Es bedeutet eine nochmalige Ergebnisverschlechterung um nahezu -800 Mio. € und liegt um 650 Mio. € über dem bisherigen Tiefpunkt der Kreisfinanzen im Jahr 2005 (-1,95 Mrd. €). Bereits 2023 mussten die Landkreise mit -1,83 Mrd. € das dritttschlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung verzeichnen. Die Situation der Kreisfinanzen verschlechterte sich gegenüber 2022 um deutliche -2,3 Mrd. €.
Bundesweit haben 2024 vier von fünf Landkreisen (= 240 von 294 Landkreise) Probleme mit dem Haushaltsausgleich (Karte). In weiten Teilen der Landkreise werden die Rücklagen nach ihrer erneuten Inanspruchnahme in einer Größenordnung von 2,7 Mrd. € nahezu vollständig aufgezehrt sein, so dass die Anzahl der unausgeglichenen Kreishaushalte in den kommenden Jahren ebenso wie der Druck auf eine höchstmögliche Anspannung der Kreisumlage zunehmen wird. Ohne Stopp des Ausgabewachstums und einer Stärkung der kommunalen Einnahmebasis droht den Landkreishaushalten der Kollaps.
In der aktuellen Situation bestätigt sich dramatisch die strukturelle Schieflage der Kommunalfinanzen und fehlende Widerstandsfähigkeit („Krisenresilienz“) der kommunalen Haushalte, wobei die Landkreise aufgrund der Ausgabeentwicklung einerseits und der Limitierung der Erhöhungsmöglichkeiten bei der Kreisumlage infolge der höchstrichterlich ausgeformten Grenzen der Kreisumlageerhebung besonders betroffen sind. Bei einem Anteil an den öffentlichen Steuereinnahmen von etwa einem Siebtel und einem Ausgabeanteil von deutlich über einem Viertel liegt es auf der Hand, dass die Kommunen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben schon in „Normalzeiten“ auf eine signifikante Aufstockung ihrer Einnahmen angewiesen sind. Daher werden zusätzliche einnahme- und ausgabeseitige Herausforderungen, wie sie gerade wieder in der aktuellen Situation zeigen, schnell zu einem generellen fiskalischen Problem im Bundesstaat.
Die originäre kommunale Steuerausstattung muss daher signifikant erhöht werden. Der Deutsche Landkreistag fordert konkret eine Verdreifachung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer auf 6 v.H. In der Verteilung muss man sich – ohne den Ersatz der Gewerbekapitalsteuer anzutasten – von dem nur aus der Vergangenheit erklärbaren Verteilungsmaßstab des kommunalen Umsatzsteueranteils lösen und zwei Drittel des kommunalen Umsatzsteueranteils künftig nach Einwohnern verteilen. Will man konsequent sein, müssten dabei die kommunalen Soziallastenträger, d.h. die Landkreise und kreisfreien Städte, Steuergläubiger werden.
Auf der Einnahmeseite bilden die Zuweisungen der Länder und die von den kreisangehörigen Gemeinden erhobene Kreisumlage die Haupteinnahmequellen der Landkreise (Abbildung ). Im Zentrum der Zuweisungen stehen neben den Bundesbeteiligungen an den Kosten der Unterkunft und an der Grundsicherung im Alter vor allem die kommunalen Finanzausgleiche der Länder (Abbildungen zu den KFAs der einzelnen Länder gesammelt). Die Zuweisungen an die Landkreise nahmen 2023 insgesamt bundesweit um 7 % zu. Dabei nahmen die laufenden Zuweisungen mit 7,6 % stärker als die investiven Zuweisungen zu, die um +6,5 % aufwuchsen.
Für 2024 ist zu erwarten, dass die Zuweisungen an die Landkreise weniger dynamisch insgesamt um +4,9 % zunehmen(Volumen der KFA ). Dabei wachsen die laufenden Zuweisungen unter Berücksichtigung der fluchtbezogenen Hilfen um 4,8 % auf, während die investiven Zuweisungen u.a. aufgrund des Endes der Förderung aus dem 1. Kapitel des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes (KInvFG) und des Digitalpakts Schule und des entsprechend erhöhten Abflusses der Fördermittel um 11,2 % und damit mit einer deutlich höheren Dynamik ansteigen.
Der Zuwachs bei Zuweisungen liegt deutlich unter dem mit dem Ausgabezuwachs (+9,9 % einschl. Option) und hält vor allem nicht mit der hohen Ausgabedynamik im Sozialbereich Schritt. Dies liegt u.a. am Rückzug des Bundes aus der Flüchtlingsfinanzierung, der nicht von den Ländern aufgefangen wurde. 2023 beteiligte sich der Bund nur noch zu Gunsten der Länder durch eine allgemeine Flüchtlingspauschale i.H.v. 1,25 Mrd. € zzgl. eines einmaligen Aufschlags i.H.v. 1 Mrd. € in 2023 und der Hilfen für die Ukraine-Flüchtlinge (3,5 Mrd. € in 2022 und 1,5 Mrd. € in 2023). In der Besprechung der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler vom 6.11.2023 wurde vereinbart, diesen Festbetrag ab 2024 durch eine jährliche Pauschale des Bundes an die Länder zu ersetzen, deren Gesamthöhe sich als Produkt aus 7.500 € pro Asylantragsteller errechnet und sich auf die Länder nach dem Umsatzsteuerschlüssel verteilt. Gegenüber dem Status quo bedeutet dies gerade einmal 500 Mio. € mehr und wird den anhaltend hohen Flüchtlingszahlen überhaupt nicht gerecht (Abbildung). Der Deutsche Landkreistag fordert dringend eine Rückkehr zum Vier-Säulen-Modell!
Der Entwicklung auf der Ausgabeseite steht auf der Einnahmeseite die Kreisumlage als das einzige nennenswert gestaltbare Einnahmeinstrument der Landkreise gegenüber. Dabei sind materiell der Kreisumlageerhebung Grenzen gesetzt. Die Landkreise sind einerseits gehalten, auch bei Defiziten auf der gemeindlichen Ebene die Kreisumlagesätze höchstmöglich anzuspannen, um so nah wie möglich an den haushaltsrechtlich gebotenen Haushaltsausgleich zu gelangen. Andererseits ist ihnen verfassungsunmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 GG eine absolute Grenze bei der Anspannung der Kreisumlage gesetzt, wenn mehr als ein Viertel der kreisangehörigen Gemeinden dauerhaft und strukturell nicht in der Lage, ihr Recht auf eine eigenverantwortliche Erfüllung auch freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Damit ist gerade in finanziell angespannten Zeiten die Kreisumlage als Ventil der Finanznot nur bedingt oder überhaupt nicht nutzbar.
In den Jahren 2012-2022 hatte sich im Gefolge der nach der Wirtschafts- und Finanzkrise bis 2020 aufwachsenden kommunalen Steuereinnahmen auch die Kreisumlage gut entwickelt. Die Kreisumlagehebesätze hatten sich relativ moderat entwickelt und es konnten in einem größeren Umfang die Kreisumlagehebesätze gemindert werden. Dies setzte sich 2023 nicht weiter fort und nur in 55 Landkreisen (= 18,7 %) war eine weitere Senkung der Kreisumlagehebesätze möglich. Im aktuellen Jahr 2024 wird in insgesamt 35 Landkreisen (= 11,9 %) der Hebesatz trotz der angespannten Situation gesenkt. In weiteren 85 (= 28,9 %) bleibt er auf dem Vorjahresniveau. In 174 Landkreisen bzw. 59,2 % der Landkreise muss demgegenüber aufgrund der hohen Ausgabeanforderungen der Kreisumlagesatz erhöht werden (Karte). Das Kreisumlageaufkommen wird voraussichtlich um +6% steigen. Insgesamt 246 der 294 Landkreise weisen Mehreinnahmen bei der Kreisumlage aus (= 83,7 %). 2023 waren es noch 275 Landkreise (= 93,5 %).
Aktuell stehen die Kreisfinanzen v.a. ausgabeseitig unter Druck. Hierbei wird die Situation vor allem von den Ausgaben der Landkreise für soziale Leistungen dominiert, da in nahezu allen kommunalrelevanten sozialen Leistungsbereichen die Hauptausgabelast den Landkreisen zukommt (Abbildung ). Insgesamt tragen die Landkreise nach der Kassenstatistik 2023 einen insbesondere flucht- und inflationsbedingt gestiegenen Anteil an den gesamten kommunalen Ausgaben für soziale Leistungen von 47,2 % (Vorjahr: 46,3 %). Im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nahmen etwa die Ausgaben der Landkreise sehr deutlich um 16,4 % zu und umfassten 8,075 Mrd. €. Der Anstieg ist zum einem dem Fluchtgeschehen aus der Ukraine und dem sog. Rechtskreiswechsel sowie zum anderen der Ablösung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes durch das Bürgergeld geschuldet. Die Schere zwischen Anzahl der Leistungsberechtigten und Höhe der Kosten der Unterkunft ist weit aufgegangen (Abbildung ).
Am höchsten ist der Ausgabeanteil der Landkreise bei den Asylbewerberleistungen mit 57,9 % (Vorjahr: 53,8 %). Wie erwartet haben die Antragszahlen 2023 weiter zugenommen und im Zeitverlauf den vierthöchsten Stand erreicht. Lediglich 2015 und 2016 sowie 1992 lagen die Antragszahlen höher. Der kommunalen Kassenstatistik für 2023 ist zu entnehmen, dass die Kommunen für Leistungen nach dem AsylbLG 3,657 Mrd. € aufwenden mussten – dies entspricht einer Minderung gegenüber dem Vorjahr um -7,9 %. Bei den Landkreisen stagnierten allerdings die Ausgaben nahezu (-0,9 %), während sie in den kreisfreien Städten (-17 %) und den kreisangehörigen Gemeinden (-14,9 %) deutlich rückläufig waren. Neben der Fallzahlentwicklung wirkte der hohe Anstieg der gewährten Regelbedarfe ausgabeverstärkend.
Die starke Erhöhung der Regelbedarfe führt auch in den Leistungsbereichen des SGB XII zu hohen Ausgabezuwächsen. So sind bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Bruttoausgaben im Vergleich zum Vorjahr überaus dynamisch um 14,4 % auf 10,419 Mrd. € gestiegen. Im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt wuchsen die Bruttoausgaben deutlich um +15,9 % auf 1,681 Mrd. €. Neben der Erhöhung der Regelbedarfe schlägt hier zu Buche, dass die ukrainische Grenze für den Bezug von Altersrenten mehrere Jahre unter der deutschen Altersgrenze liegt, was dazu führt, dass der Bezug der ukrainischen Altersrente zum Leistungsausschluss nach dem SGB II führt und die Betroffenen in das SGB XII und hier in die Hilfe zum Lebensunterhalt fallen.
Weiterhin hoch bleiben auch die Ausgabezuwächse bei der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Erziehung. Auch bei der Hilfe zur Pflege war für 2023 wieder ein Anstieg der Bruttoausgaben um nahezu 1 Mrd. € auf 5,085 Mrd. € (+24,1 %) zu verzeichnen.
Über die Umlagen an die Höheren Kommunalverbände (Abbildung), die zusammen etwa knapp die Hälfte der Ausgaben für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und rund 30 % der Ausgaben zur Hilfe zur Pflege stemmen, kommen weitere, indirekte Lasten aus dem Sozialbereich hinzu.
Im Personalbereich bedeutete der Tarifabschluss vom 22.4.2023 sowie die zumeist wirkungsgleich vorgenommenen Anpassungen in der Beamtenbesoldung an den Tarifabschluss der Länder wie erwartet eine große finanzielle Herausforderung. 2023 nahmen die Personalausgaben wie im Vorjahr hoch um +5,9 % zu. Für 2024 ist unter Einschluss des Tarifergebnisses und der Besoldungsanpassungen sowie der aus den Haushaltsplanungen der Landkreise erkennbaren personalwirtschaftlichen Maßnahmen und mit einem sehr deutlichen Aufwuchs der Ausgabebelastungen um 8,6 % zu rechnen.
Bei den Ausgaben zum laufenden Sachaufwand hat die allgemeine und insbesondere die Energiepreisentwicklung deutliche Spuren hinterlassen. In der zweiten Jahreshälfte 2022 haben sich die Preise zwar wieder deutlich vermindert – allerdings auf ein deutlich höheres Niveau als vor der Krise. Maßnahmen wie die temporäre Senkung der Energiesteuern für Kraftstoffe und die Senkung der EEG-Umlage ab 1.7.2022 auf Null haben dabei dämpfend gewirkt. Insgesamt nahmen die Ausgaben der Landkreis 2023 um +5,8 % zu. Für 2024 lassen die Haushaltsplanungen der Landkreise erwarten, dass die Ausgaben für den laufenden Sachaufwand in den Landkreisen um +3,1 % zunehmen werden.
Im Bereich der Investitionen ist die kommunale Ebene weiterhin die einzige Ebene, die seit 2003 durchgängig negative Nettoinvestitionen, d.h. einen Vermögensverzehr zu verzeichnen hat (Abbildung). Das KfW-Kommunalpanel 2024 weist auf, dass in mehr als der Hälfte der Kommunen eigentlich notwendige Projekte aufgrund fehlender Eigenmittel nicht durchgeführt werden. In den Landkreisen nahmen 2023 die Sachinvestitionen um +10,3 % zu. Der reale Zuwachs ist aufgrund der hohen Preissteigerungsraten (z.B. Preise im Straßenbau: +10,5 %, Preise bei Bürogebäuden: +8,6 %) deutlich niedriger. Mit Stand 2023 bleibt für die Kreishaushalte ein Investitionsstau von rund 32,7 Mrd. € festzustellen, von dem der größte Anteil auf den Bereich der Schulen entfällt, gefolgt von der Straßen- und Verkehrsinfrastruktur sowie den öffentlichen Verwaltungsgebäuden. Für 2024 ist trotz der eingetrübten Finanzlage noch mit einer um +6,2 % zunehmenden Sachinvestitionstätigkeit der Landkreise zu rechnen.
Die Abbildungs- bzw. Tabellennummern orientieren sich an der Darstellung im Kreisfinanzbericht 2023/2024 (erschienen als Oktober-Ausgabe 2024 von „Der Landkreis“).