Wenn im Herbst in den 294 Kreistagen die Haushaltsberatungen für das nächste Jahr beginnen, wird einmal mehr das ganze Dilemma sichtbar werden: Ein Sozialstaat, bei dem die Politik in Bund und Ländern die Leistungen definiert, die die Städte, Landkreise und Gemeinden am Ende teuer zu stehen kommen. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Landkreistag eine ehrliche Diskussion über die Neuausrichtung des Sozialstaates. Präsident Landrat Dr. Achim Brötel sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung (Freitagsausgabe): „Gerade die Schwachen brauchen ein starkes soziales Netz. Dafür treten die Landkreise ein. Auf der anderen Seite brauchen die öffentlichen Haushalte dringend eine Phase der Konsolidierung und eine Debatte über Einsparungen, um den Sozialstaat zukunftsfest zu machen.“ Auf einem derart hohen Kostenniveau könne es nicht mehr weitergehen. „Schon jetzt ist offenkundig, dass die Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht sind. Deshalb müssen wir dringend auch über mehr Eigenverantwortung der Menschen sprechen; der fürsorgende Staat kann nicht alles richten. Da ist in den letzten Jahren leider manches verrutscht.“
Der Deutsche Landkreistag hat in einem Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sowie an die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen auf die Folgen des kommunalen Finanzierungsdefizits hingewiesen. „In derart großer Not waren die Städte, Landkreise und Gemeinden noch nie“, schreiben DLT-Präsident Landrat Dr. Achim Brötel und Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Hans-Günter Henneke. Es gebe „massive Liquiditätsprobleme“ in den Kommunen, die Investitionen würden trotz zusätzlicher Bundesmittel abstürzen.
Die kommunalen Spitzenverbände warnen aufgrund der rasant steigenden Ausgaben vor einer dramatischen kommunalen Finanzkrise und fordern nachhaltige Reformen. Die kommunalen Ausgaben steigen besonders im Sozialbereich, aber auch für das Personal. Verbunden mit einer langanhaltenden Wachstumspause der deutschen Wirtschaft ist die Lage weitaus schlimmer als bisher ohnehin schon befürchtet. Im vergangenen Jahr lag das Defizit in den kommunalen Kernhaushalten in noch nie dagewesener Rekordhöhe bei fast 25 Milliarden Euro.
„Ich habe die Verleumdungen vor Monaten angezeigt und nichts ist passiert.“ „In einem Social-Media-Kommentar wurde mir Prügel angedroht. Was kann ich tun?“ Mit solchen Anliegen wenden sich kommunalpolitisch Engagierte, die bedroht werden oder Gewalt erfahren haben, an die starke Stelle – die Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger. Die bundesweite, unabhängige Einrichtung bietet Betroffenen eine persönliche Beratung und Unterstützung. Vor einem Jahr, am 1. August 2024, hat die starke Stelle ihre Arbeit aufgenommen. Der Hintergrund: Angriffe, Hass und Hetze gegen kommunalpolitisch Engagierte und Verwaltungsmitarbeitende haben ein alarmierendes Ausmaß erreicht.
Der heute vorgelegte Abschlussbericht der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ enthält aus Sicht des Deutschen Landkreistags zahlreiche wichtige und richtige Vorschläge. „Ohne die Landkreise, Städte und Gemeinden wird eine Staatsmodernisierung nicht gelingen. Wir erbringen mehr als 80 % aller Verwaltungsdienstleistungen. Ob die Menschen ihren Staat als handlungsfähig wahrnehmen, entscheidet sich deshalb ganz maßgeblich auf der örtlichen Ebene. Wenn dort das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit verloren geht, leidet auch der Rechtsstaat insgesamt. Deshalb begleiten wir die Vorschläge der Initiative auch konstruktiv und wollen uns aktiv in den weiteren Prozess einbringen“, so der Präsident des Deutschen Landkreistages Landrat Dr. Achim Brötel.
Der Deutsche Landkreistag hat mit deutlicher Kritik auf die geplante Streichung der im Gesetz zum Sondervermögen zunächst vorgesehenen Mindestquote von 60 % für die kommunale Ebene reagiert. Die Bundesregierung will den Gesetzentwurf heute im Kabinett beschließen, mit dem die Umsetzung der 100 Mrd. € aus dem Sondervermögen des Bundes für Infrastrukturinvestitionen in Ländern und Kommunen geregelt werden soll. „Die Mindestquote von 60 % der Investitionsmittel für die kommunale Ebene ist wichtig für wirksame Wachstumsimpulse. Umso erstaunter sind wir, dass diese Passage nun in der Kabinettsvorlage fehlt. Damit bliebe das zentrale Signal, dass der größte Teil der Mittel dort ankommen soll, wo sie dringend gebraucht werden, aus. Das wäre ein Schlag ins Gesicht von Städten, Landkreisen und Gemeinden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages Prof. Dr. Hans-Günter Henneke gegenüber der dpa.
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